Neun Fremde, Liane Moriarty

In vier Worten: Herrlich überzeichnet - abgrundtief böse


Neun Fremde, Liane Moriarty

Karriereknick, Eheprobleme, Übergewicht … Die Gründe, die neun einander völlig Fremde zu einem zehntägigen »Cleansing« im abgelegenen Wellness-Resort mit dem klingenden Namen »Tranquillum House« zusammenführen, sind so unterschiedlich wie die Charaktere selbst. Die meisten erhoffen sich eine im besten Falle erhellende Verschnaufpause von ihren kleinen und großen Sorgen. Doch schnell stellt sich heraus, dass sie sich hier nicht auf einem harmlosen Wellnesstrip befinden und die markigen Sprüche vom »neuen Ich« und dem »revolutionären therapeutischen Ansatz« keine leeren Werbebotschaften bleiben sollen. Denn Resortleiterin Masha, eine ehemalige Karrierefrau, brennt voll und ganz für ihre Mission. Und sie macht keine halben Sachen …


Gesunde Lebensweise ist eine DER Religionen unserer modernen Zeit. Genau dieses Thema nimmt Liane Moriarty hier gnadenlos auseinander, mit abgründigem, teilweise fast schwarzem Humor und aus stetig wechselnder Perspektive aller neun Gäste und ihrer drei Betreuer. So harmlos alles anfängt, so gut gelingt es der Autorin, von Anfang an beim Leser für ein unbehagliches Gefühl in der Nackengegend zu sorgen und böse Vorahnungen auf das Kommende zu erwecken.

»›Niemand reist früher ab‹, antwortete Yao seelenruhig. ›Nun ja, aber man darf. Wenn man möchte.‹ ›Niemand reist früher ab‹, wiederholte Yao. ›Das kommt einfach nicht vor. Niemand möchte überhaupt wieder nach Hause! Sie sind auf dem Weg zu einer wahrhaft transformativen Erfahrung, Frances.‹« (S. 65)

Zwischendurch verzettelt sich Moriarty ein wenig und nicht alle Charaktere kommen in ausgewogenem Verhältnis zu Wort (z. B. Lars). Die Charaktere, die viel Raum erhalten, muss man jedoch einfach ins Herz schließen, allen voran die Schriftstellerin Frances Welty. Sie hinterfragt das ganze Wellness-Gefasel mit einer imaginären spitzen Feder und einer Menge Sarkasmus im Blut. Dabei schwebt sie ein wenig über den Dingen, wird aber im Verlauf der Handlung ebenfalls in den Strudel der Ereignisse hineingezogen.

»Zu sechst stiegen sie in achtsamer, die Füße vom Ballen zur Fußspitze abrollender Slow Motion die Titanic-Treppe hinunter, und Frances versuchte, nicht daran zu denken, wie absurd das alles war. Wenn sie jetzt lachte, würde sie einen Lachkrampf bekommen. Sie fühlte sich bereits ein wenig schwummerig vor Hunger. Es war Stunden her, dass sie die KitKat-Verpackung abgeleckt hatte.« (S. 128)

Neben dem immer kurioseren Verlauf des Cleansings, das langsam aber sicher in eine Katastrophe abdriftet, sorgen die schrittweise enthüllten Lebensgeschichten und Geheimnisse der Gäste für das nötige Salz in der (Gemüse-)Suppe. So mancher Charakter sorgt noch für Überraschungen und nicht alle sind empfänglich für Mashas Methoden. Der Twist am Ende war für mich nicht vorhersehbar und ist szenisch hervorragend umgesetzt. Großartig, der Moment, in dem Masha ihre ganz eigene »Transformation« durchlebt …


Fazit: So herrlich böse! Pointierte Abrechnung mit der Wellnessindustrie und Achtsamkeitsbewegung, die hier alles andere als entspannt auftritt. Masha als fanatische Wölfin im Bademantel gegen den Rest der Welt.


Rund ums Buch:

Autorin Liane Moriarty verdankt ihren größten Erfolg der Verfilmung ihres Werks »Big little lies« als HBO-Serie. Auch die Filmrechte an »Neun Fremde« wurden bereits von einer prominenten Produzentin erworben: Nicole Kidman. Man darf also gespannt sein, wie die Geschichte auf der großen Leinwand zur Geltung kommen wird, zumal Kidman offenbar selbst in die Rolle von Resortleiterin Masha schlüpfen wird …

Liane Moriarty * Neun Fremde * Diana Verlag * 978-3-453-29234-5 * August 2019 * 528 Seiten * Hardcover * 20,00 Euro

Neun Fremde, Liane Moriarty
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